Eine Frau und ein Mann schauen lächelnd in die Kamera

Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung

Menschen mit Behinderung bestimmen selbst wie sie ihr Leben gestalten. Zum Beispiel wo sie leben möchten, wie sie arbeiten wollen und was sie in ihrer Freizeit machen. Um die eigenen Wünsche und Vorstellungen durchzusetzen, schließen sie sich zusammen – in der Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung. Selbstvertretung setzt sich auch für Veränderungen in der Politik und bei den Gesetzen ein.
Seit wann gibt es Selbstvertretung? Was sind ihre Ziele? Hier erfahren Sie, was Selbstvertretung bedeutet.

Was ist Selbstvertretung?

Selbstvertretung bedeutet, dass sich Menschen mit Behinderung selbst für ihre Wünsche und Ziele stark machen. Nicht andere Menschen ohne Behinderung entscheiden über oder für Menschen mit Behinderung. Sondern die Menschen mit Behinderung sorgen selbst dafür, dass sich ihr Leben verbessert. Zum Beispiel dafür, dass Menschen mit Behinderung ganz selbstverständlich ins Kino und ins Theater gehen können. Oder, dass sie leichter eine Arbeitsstelle finden. Oder, dass es im Alltag weniger Barrieren gibt.

Menschen mit Behinderung sind Expert*innen in eigener Sache. Bei der Selbstvertretung geht es um ihre Sicht auf das Leben: "Was stört mich, was muss sich ändern?" Menschen mit Behinderung wissen selbst am besten, was sie in ihrem Alltag brauchen. Und was anders sein müsste, damit mehr Teilhabe möglich wird.

Was ist der Unterschied zwischen Selbstvertretung und Selbsthilfe?

Vier Menschen mit und ohne Behinderung demonstrieren.

Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung ist in Deutschland nicht sehr bekannt. Bekannt ist hier eher die Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung. In den Vereinen und Organisationen der Selbsthilfe geht es oft um eine bestimmte Behinderung oder chronische Krankheit. Zum Beispiel in einer Selbsthilfe-Gruppe für kleinwüchsige Menschen oder für blinde Menschen. Die Mitglieder der Gruppe geben sich gegenseitig Tipps. Sie tauschen Informationen über ihre Behinderung aus. Mache Gruppen machen auch Öffentlichkeitsarbeit. Zum Beispiel halten sie Vorträge über eine bestimmte Behinderung.
Mehr zum Thema Selbsthilfe lesen Sie im Familienratgeber-Artikel Selbsthilfe.
 
Die Selbstvertretung hat andere Inhalte und Ziele. Hier geht es vor allem darum: In der Gesellschaft muss sich etwas ändern, damit Menschen mit Behinderung besser leben können. Zum Beispiel soll es bessere Gesetze für Menschen mit Behinderung geben. Oder es soll weniger Barrieren im Alltag geben. Selbstvertretung beschäftigt sich nicht so sehr mit einzelnen Behinderungs-Arten. Die Basis der Selbstvertretung ist ein menschen-rechtliches Verständnis von Behinderung. Das bedeutet: Menschen mit Behinderung haben die gleichen Rechte wie Menschen ohne Behinderung. Sie dürfen nicht benachteiligt werden. Zum Beispiel sollen Menschen mit Behinderung die gleichen Chancen haben, eine Arbeitsstelle zu bekommen wie Menschen ohne Behinderung. Oder sie sollen selbst entscheiden können, wo und mit wem sie leben möchten. Selbstvertretung macht Vorschläge und stellt Forderungen an Politiker*innen. Sie mischt sich ein, in der Gemeinde, im Land und im Bund. Selbstvertretung versucht, Politik und Gesellschaft zu verändern.

Liga Selbstvertretung - DPO Deutschland

Seit fünf Jahren gibt es in Deutschland die „Liga Selbstvertretung – DPO Deutschland“. In der Liga arbeiten 13 Selbstvertretungs-Organisationen zusammen. Gemeinsam können sie mehr erreichen. DPO ist die Abkürzung für Selbstvertretungs-Organisation behinderter Menschen (englisch: Disabled Peoples‘ Organisation). Selbstvertretungs-Organisationen behinderter Menschen wollen, dass mindestens die Hälfte ihrer Mitglieder Menschen mit Behinderung sind. In der deutschen Liga Selbstvertretung haben mindestens 75 Prozent der Mitglieder eine Behinderung. Menschen mit Behinderung leiten die Organisation. Und sie sprechen für die Organisation in der Öffentlichkeit.

Die Liga Selbstvertretung versucht Einfluss auf Politik und Gesetzgebung zu nehmen. Besonders setzt sie sich dafür ein, dass sich Deutschland an die UN-Behindertenrechtskonvention hält. Weitere Informationen finden Sie auf der Internetseite der Liga Selbstvertretung.

Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung in Deutschland

Seit etwa 40 Jahren gibt es die Selbstbestimmt Leben Bewegung in Deutschland. Die Idee dazu kommt aus den USA. In vielen Ländern Europas gibt es Selbstbestimmt Leben Bewegungen. Sie alle arbeiten zusammen. Die Mitglieder der Bewegung sind Frauen und Männer mit Behinderung. Sie machen sich stark gegen Unrecht und Diskriminierung.

Seit Mitte der 1980er Jahre gibt es in mehreren deutschen Städten Zentren für Selbstbestimmtes Leben (ZsL). 1990 gründeten die Mitglieder die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. – ISL. Die ISL ist eine wichtige Stimme der Selbstvertretung in Deutschland.

Welche Ziele hat die Selbstvertretung?

Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung ist das zentrale Ziel von Selbstvertretung. Menschen mit Behinderung sollen die Wahl haben, wo, mit wem und wie sie leben möchten. Sie entscheiden selbst.
In den vergangenen 30 Jahren hat die Selbstbestimmt leben Bewegung in Deutschland einiges erreicht. Zum Beispiel:

  • Menschen mit Behinderung dürfen nicht benachteiligt werden. Das steht in Artikel 3 des Grundgesetzes.
  • die Gleichstellungs-Gesetze im Bund und in den Bundesländern
  • das Persönliche Budget
  • Mitarbeit an der UN-Behindertenrechtskonvention

Trotzdem bleibt noch viel zu tun für die Selbstvertretung in Deutschland. Einige Ziele, für die sich die Selbstvertretung in nächster Zeit stark macht, sind:

  • Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
  • ein Gesetz für mehr Barrierefreiheit
  • ein Gesetz für mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderung (Teilhabe-Stärkungs-Gesetz)
  • Menschen mit Behinderung sollen leichter eine Arbeitsstelle finden. Am besten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und nicht in Werkstätten für Menschen mit Behinderung.
  • Es soll leichter werden, Persönliche Assistenz zu bekommen (auch Persönliche Assistenz im Krankenhaus)
  • bessere Beratung für Menschen mit Behinderung. Besonders durch die Beratungsmethode Peer Counseling. Das bedeutet, Berater*innen mit Behinderung übernehmen die Beratung von Menschen mit Behinderung.

Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten

eine junge Frau lächelt und hebt Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen.

Auch viele Menschen mit Lernschwierigkeiten möchten selbst entscheiden und mitbestimmen. Besonders dann, wenn es um ihr eigenes Leben geht. Egal, ob in der Freizeit, bei der Arbeit, beim Wohnen oder in der Politik. Das gilt auch für Menschen mit psychischer Behinderung und Menschen, die viel Unterstützung brauchen.

Der Verein „Mensch zuerst“ setzt sich für die Selbstvertretung und Selbstbestimmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten ein. „Mensch zuerst“ gibt es seit 20 Jahren. Geschäftsführer des Vereins ist ein Mensch mit Lernschwierigkeiten. Und auch im Vorstand sind fünf Menschen mit Lernschwierigkeiten. Der Verein startet viele Projekte für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Mitglieder von „Mensch zuerst“ halten Vorträge und geben Schulungen. Außerdem bietet der Verein Übersetzungen in Leichter Sprache an. Örtliche Gruppen von "Mensch zuerst" gibt es inzwischen in mehr als 20 deutschen Städten.
Mehr Informationen lesen Sie auf der Internetseite von „Mensch zuerst“.
 
Auch die Bundesvereinigung Lebenshilfe setzt sich für Selbstvertretung ein. In ihrer Kampagne „Selbstvertretung. Na klar“. gibt es viele Infos zum Thema Selbstvertretung und zu Selbstvertreter*innen.
Die Lebenshilfe hat außerdem ein Heft zum Thema Selbstvertretung erstellt. Das Heft ist in Einfacher Sprache geschrieben. Darin steht, was Selbstvertretung bedeutet und wofür sich Selbstvertretung stark macht. Außerdem stellen Selbstvertreter*innen sich und ihre Arbeit in dem Heft vor.

Von der Lebenshilfe Bremen gibt es ein Erklär-Video für Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter. In dem Video geht es um das Thema „Recht auf Leichte Sprache“. Das Video gibt es bei YouTube.
 
Selbstbestimmung und Selbstvertretung ist auch für den Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (BeB) ein wichtiges Thema. Der Verband hat ein Projekt dazu gestartet. Das Projekt heißt: „Hier bestimme ich mit!“. Dabei geht es besonders um die Selbstbestimmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Und von Menschen mit psychischer und sehr schwerer Behinderung. Auf der Internetseite zum Projekt stehen viele Infos, Praxis-Beispiele und Videos zum Thema Selbstbestimmung.

Zuletzt aktualisiert am 14. November 2023

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